GESCHICHTEN VON FRAUEN ZWISCHEN DEN KULTUREN
GESCHICH-
TEN VON
FRAUEN
ZWISCHEN
DEN
KULTUREN
Der Krieg wird durch Tod, Verlust, verbrannte Häuser, Kinder ohne Eltern, Verhaftungen, Vermisste usw. definiert. Aber wenn man die Geschichte genau liest, bringt Krieg auch Veränderungen politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Natur mit sich. Die Geschichte eines Landes kann nach dem Krieg einen neuen Anfang haben. In Syrien waren wir die Generation, die eine soziale Änderung schaffen wollte, aber „beim Schälen der Zwiebel“ (Günter Grass) war der Weg schwerer, als wir am Anfang dachten. Als es unerträglich wurde, kamen wir nach Deutschland, um Sicherheit zu finden. Die erste große Niederlage war, dass wir unsere einstige Mission die Geschichte neu zu schreiben, nicht zu Ende gebracht hatten. Sie kam mit einem großen Schuldgefühl gegenüber denen, die immer noch in Syrien leiden. Wir werden hier als „Ausländer“ bezeichnet, als „Minderheit“ oder die „Schwachen“. Und die Schwachen können niemals Geschichte schreiben.
18.09.2014 war der Tag, an dem ich nach Deutschland kam. Mit den sechs Stunden Flug wechselte ich nicht nur den Ort, es war gleichzeitig eine Reise durch Zeit und Raum. Als Syrerin bin ich sehr dankbar für die Sicherheit, die Deutschland uns schenkt und die Ausbildungsmöglichkeiten, die uns angeboten werden. Das größte Geschenk für mich war allerdings, dass das Leben im Ausland mir ermöglicht, mich selbst besser verstehen zu können. Meine Erfahrungen in Deutschland habe ich in kleinen Geschichten formuliert. Am Anfang dieser Dokumentation standen die Briefe an meinem Vater, die ich schrieb als der Kontakt lange Zeit abgebrochen war. Im Laufe der Jahre wurden die persönlichen Erfahrungen meines Alltag, ein Art Dokumentation für die durch unsere Existenz veränderte deutsche Geschichte, die jetzt auch meine eigene Geschichte geworden ist. Meine Beobachtungen als ehrenamtliche Dolmetscherin beispielsweise sind so zu einer gewissen Beschreibung der Entwicklung der Flüchtlingsbewegungen 2015 geworden.
Die Idee des Buches hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Um ein breites Spektrum unterschiedlichster Erfahrungen dokumentieren zu können, habe ich verschiedene Frauen mit Migrationsgeschichte als Gäste gewinnen können.
Meine Botschaft für die beiden Gesellschaften ist, dass wir uns gegenseitig mehr zuhören und respektvoll miteinander reden sollten, statt uns von anderen sagen zu lassen, was wir zu denken haben. Und eine besondere Botschaft für an die Menschen mit Migrationsgeschichte: Wir sind nicht die „Schwachen“. Wir sind die Geschichte-Schreiber:innen in unseren Ländern und überall dort, wo wir eine Heimat gefunden haben.
Der Krieg wird durch Tod, Verlust, verbrannte Häuser, Kinder ohne Eltern, Verhaftungen, Vermisste usw. definiert. Aber wenn man die Geschichte genau liest, bringt Krieg auch Veränderungen politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Natur mit sich. Die Geschichte eines Landes kann nach dem Krieg einen neuen Anfang haben. In Syrien waren wir die Generation, die eine soziale Änderung schaffen wollte, aber „beim Schälen der Zwiebel“ (Günter Grass) war der Weg schwerer, als wir am Anfang dachten. Als es unerträglich wurde, kamen wir nach Deutschland, um Sicherheit zu finden. Die erste große Niederlage war, dass wir unsere einstige Mission die Geschichte neu zu schreiben, nicht zu Ende gebracht hatten. Sie kam mit einem großen Schuldgefühl gegenüber denen, die immer noch in Syrien leiden. Wir werden hier als „Ausländer“ bezeichnet, als „Minderheit“ oder die „Schwachen“. Und die Schwachen können niemals Geschichte schreiben.
18.09.2014 war der Tag, an dem ich nach Deutschland kam. Mit den sechs Stunden Flug wechselte ich nicht nur den Ort, es war gleichzeitig eine Reise durch Zeit und Raum. Als Syrerin bin ich sehr dankbar für die Sicherheit, die Deutschland uns schenkt und die Ausbildungsmöglichkeiten, die uns angeboten werden. Das größte Geschenk für mich war allerdings, dass das Leben im Ausland mir ermöglicht, mich selbst besser verstehen zu können. Meine Erfahrungen in Deutschland habe ich in kleinen Geschichten formuliert. Am Anfang dieser Dokumentation standen die Briefe an meinem Vater, die ich schrieb als der Kontakt lange Zeit abgebrochen war. Im Laufe der Jahre wurden die persönlichen Erfahrungen meines Alltag, ein Art Dokumentation für die durch unsere Existenz veränderte deutsche Geschichte, die jetzt auch meine eigene Geschichte geworden ist. Meine Beobachtungen als ehrenamtliche Dolmetscherin beispielsweise sind so zu einer gewissen Beschreibung der Entwicklung der Flüchtlingsbewegungen 2015 geworden.
Die Idee des Buches hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Um ein breites Spektrum unterschiedlichster Erfahrungen dokumentieren zu können, habe ich verschiedene Frauen mit Migrationsgeschichte als Gäste gewinnen können.
Meine Botschaft für die beiden Gesellschaften ist, dass wir uns gegenseitig mehr zuhören und respektvoll miteinander reden sollten, statt uns von anderen sagen zu lassen, was wir zu denken haben. Und eine besondere Botschaft für an die Menschen mit Migrationsgeschichte: Wir sind nicht die „Schwachen“. Wir sind die Geschichte-Schreiber:innen in unseren Ländern und überall dort, wo wir eine Heimat gefunden haben.
KAPITEL
Im Jahr 2015 flüchteten viele Menschen aus ihrer Heimat nach Deutschland. Eine Frau meldete sich freiwillig als Übersetzerin für Englisch und Arabisch und stellte fest, dass sie nicht nur Worte übersetzen musste, sondern auch Kulturen und Erwartungen.
Welche Erfahrungen macht eine junge Mutter, die weit entfernt von ihrer Familie lebt? Wie geht es den Töchtern und Söhnen? Die fremde Welt weckt Sehnsucht nach dem, was einmal alltäglich war. Oder wie Mahmoud Darwish mal in einem Gedicht schrieb: „Ich vermisse das Brot meiner Mutter“
„Ich studiere in Europa“, klingt für viele Menschen nach einem Privileg. Aber gilt das für alle Studierenden, egal woher sie kommen?
(Al-Qadmous ist das bekannteste Transportunternehmen in Syrien. Mütter schickten ihren Kindern, die in entfernten Städten zum Studieren lebten, tiefgekühlte Lebensmittel oder eingefrorene Gerichte von zu Hause u. a.)
Jeden Freitag traf sich die ganze Familie im Haus der Großeltern. In Europa angekommen verliert sich die Bedeutung dieser zentralen Rolle von Großvater und Großmutter und hinterlässt eine Lücke, die sich mit Sehnsucht füllt.
Die Überdosis „Sicherheit“ lässt traumatische Geschichten und Erinnerungen aufblitzen.
Wir müssen keine türkischen Handynummern mehr auf die Brust unserer Kinder schreiben, aus Angst sie auf der beschwerlichen Flucht zu verlieren.
Wir müssen uns nicht mehr in den Kellern verstecken, wenn das Geräusch eines Autos oder eines Flugzeugs ertönt.
Wir müssen keine Angst mehr haben, auf dem Weg zur Bäckerei kaltblütig erschossen zu werden. In Deutschland wird man nicht erschossen, wenn man ein Brot kaufen geht.
Hubschrauber transportieren nur Patienten. Sie werfen keine explosiven Fässer.
Wir müssen keine Dächer von Häusern aus Angst vor Scharfschützen mehr fürchten.
Wir müssen nicht mehr ständig nach rechts und links schauen, außer wir möchten eine Straße überqueren.
Wir werden nicht von der Polizei verhaftet, nur weil wir uns auf der Straße befinden.
Was uns am meisten schockierte, war, dass der Himmel blau war. Nicht schwarz. Ein Himmel mit Wolken. Und ihre Farbe ist weiß.
Immer wenn ich diese Frage gestellt bekomme, antworte ich: „Haben Sie mal gelesen, wann die erfolgreichsten Mode-Marken gegründet wurden?“ Coco Chanel beispielsweise hat ihr Unternehmen zwischen den Weltkriegen zum Erfolg gebracht. Der Krieg und die neuen Bedürfnisse der Frauen waren eine große Inspiration für ihre Marke bzw. für ihre Modelle. Ich als „war survivor“ begründe die Tendenz der Flüchtlinge teure Sachen zu besitzen damit, dass diejenigen, die den Krieg erleben mussten, sich hier in der modernen Gesellschaft als „gleichwertige Menschen“ darstellen wollen. „You are… what you have!“ Man versucht sich durch Besitz zu definieren, Kriegsverluste und Kriegstraumata, mit Besitz teurer Sachen zu kompensieren. Ein teures Handy, Markenkleidung usw.
Es ist oft wie Sahne auf einen verbrannten Kuchen zu schmieren. Und manchmal möchte man auch nur einen bessere Kontaktmöglichkeit zur Familie in der ferne. Ich habe verschiedene Meinungen von Betroffenen dazu gehört und dokumentiert.
Mit allem was man jeden Tag erleben muss, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man durch die psychische Belastung krank wird. In dem Moment, in dem man ein Krankenhaus betritt, bemerkt man sehr deutlich, wie schwer es ist im Ausland zu leben. Je schwieriger es einem fällt seine Beschwerden richtig zu beschreiben, desto erleichterter ist man, wenn einem ein Arzt zur Seite steht, der die gleiche Sprache spricht. Alle Ärzt:innen, die in deutschen Krankenhäsern täglich vielen Menschen helfen, sind erschöpft. Aber einige sind durch die zusätzliche Arbeit als „Dolmetscher:in für Patient:innen“ doppelt belastet.
Jeden Tag wird mir klarer, welche Wirkung die Medien auf uns haben. Vorurteile werden werden so lange in den Fokus gesetzt und immer öfter wiederholt, bis sie unsere Meinungen nachhaltig prägen.
Ich habe das Gefühl, dass die Literatur einen sehr positiven Einfluss auf diese Situation haben kann. Als ich beispielsweise die Bücher von Hermann Hesse gelesen habe, war ich davon fest überzeugt, dass diese Bücher eine Brücke zwischen der indischen Kultur im Süden und der deutschen Kultur im Norden gebildet haben.
Wir sind präsent in den Medien. Mit der rechten AfD formiert sich ein beachtlicher Widerstand und Ablehnung gegen uns in der Bevölkerung. Nicht jeder Mensch, der nach Deutschland flüchten musste, ist der psychischen Belastung dieser Feindseligkeit gewachsen.
Zu Beginn meines Aufenthalts in Deutschland hatte ich lange Zeit keinen Kontakt zu meiner Familie. Ich wusste nicht ob es ihnen gut geht oder ob sie überhaupt noch leben. Die Ungewissheit brach mir das Herz und brachte mich um den Schlaf. Ich begann meinem Vater Briefe zu schreiben, die ich ihm nicht schicken konnte. Ich erzählte ihm von diesem neuen Land, den Unterschieden zu Syrien, was ich hier lernte und welche Sorgen auf meinen Schultern lasteten. Nachdem ich meine Familie wieder kontaktieren konnte, schrieb ich die Briefe weiter. Aber ich konnte meinen Eltern keine schlechten Nachrichten schicken, denn sie sind weit weg und würden sich sehr viele Gedanken machen.
Es fiel mir am Anfang schwer Sätze zu formulieren, die mit „ich“ beginnen, da dies in meiner Muttersprache als arrogant gilt. Wir sagen „wir“. Das Erlernen der Sprache und die Bildung grammatikalisch korrekter Sätze wird als notwendig für die Integration angesehen, aber das alleine reicht nicht. Es ist auch wichtig sich mit dem Miteinander des Gastlandes auseinanderzusetzen.
Erfahrungen von Kindern, die im Alter von etwa zwölf Jahren nach Deutschland kamen und vorher keine Gelegenheit hatten, eine Schule zu besuchen.
Uns begegnen unerwartete Herausforderungen:
- die Integration in das „neue“ uns
- die Integration in unserer Gesellschaft, die nicht mehr die Mehrheit in Deutschland ist
- die Integration in die Mehrheit dieser Gesellschaft bzw. die deutsche Gesellschaft
Wir müssen die bittere Wahrheit akzeptieren, dass unsere Gesellschaft sich ändert, im Vergleich zu dem, was wir in unserer Heimat kannten. Uns begegnet die Herausforderung, uns in alle diese drei Gesellschaften gleichzeitig integrieren zu müssen verschiedenste Erwartungen zu erfüllen. Erwartungen aus unserer kleinen Gesellschaft in Deutschland, aus unserer großen Gesellschaft in der Heimat und wahrscheinlich auch aus der deutschen Gesellschaft.
Leseprobe
Auszug (deutsch)
„Tagebuch einer freiwilligen Dolmetscherin in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge im Jahr 2015“
von Douha Al Fayyad
aus dem Arabischen übersetzt von Kerstin Wilsch
Adib
Adib ist fast noch ein Kind, aber er versucht, wie ein erwachsener Mann zu wirken, indem er seine Stimme tiefer klingen und den Bartflaum auf der Oberlippe stehen lässt. Doch das nützt nicht viel. Mit offensichtlichem Vergnügen schaut er sich gerade eine Kindersendung an, als ich den Raum in der Erstaufnahmeeinrichtung betrete. In seinen etwas verlegen blickenden Augen blitzt kurz Freude auf, als er SpongeBob sieht. Er erblickt mich und macht schnell den Laptop zu. Als ich ihn frage, warum, antwortet er: „Ach, nur so.“ …
Auszug (arabisch)
يوميات مترجم متطوع في أحد مراكز تجميع اللاجئين الواصلين حديثا عام 2015
von Douha Al Fayyad
أديب
أديب شاب بمقتبل العمر، يحاول أن يعكس بصوته المفتعل وشاربيه المتفرقين رجلا ناضجا. عبثا يحاول! فهو ينسجم مع برامج الاطفال انسجاما منقطع النظير، وأرى في عينيه الحائرتين نوعا من الفرحة المؤقتة عندما يشاهد “ سبونج بوب“ ، وعندما سألته عن سبب اغلاق اللابتوب لحظة مجيئي قال :
ـ لا شيء .
هذا الطفل الهرم! يعتقد بأني لست من المعجبين بـ “ سبونج بوب „!
أديب يتحدث الألمانية أفضل مني بمراحل، فهوـ على صغر سنه ـ قد أكمل عامه الثاني في المانيا الشهر الماضي! يحدثني عن نفسه، عن أهله، عن أمه التي تكبرني بعام واحد فقط، عن اخوته الذين ينتظرون ما يسمى بـ لم الشمل، عن مدينته : حماه…!
أديب لا يتذكر الكثير عن حماه، أو لنكن دقيقين، هذا ما يدعيه، فهو يعتقد أن من معالم الرجولة تتمثل بالتدخين بكثرة، بالتحدث بصوت أجش مفتعل، بحلق شاربه الناعم كشارب قطة كل صباح حتى ولو لم تكن هناك حاجة لحلاقة يومية، نسيان كل شيء يمس طفولته، أو …يذكره بحماه أو بعيني أمه.
WIR
Douha Al Fayyad
Autorin
(Verfahrenstechnikerin, seit 2014 in Deutschland, sie nutzt die Literatur, um eine Brücke zwischen den Kulturen zu bauen.)
Kerstin Wilsch
Übersetzerin
(Director of Middlebury School in Jordanien)
Dr. Alaa Eddin AlYoussef
Fotograf
(Kardiologe, seit 2016 in Deutschland, der talentierte Fotograf unterstützt das Projekt mit seinen Fotos.)
Abd AlKader
Al Fayyad
Illustrator
(Student der Publizistik, lebt in Syrien, als leidenschaftlicher Zeichner illustriert er die Geschichten mit Bildern.)
UNTERSTÜTZUNG
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